Release
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Jazz trifft auf Elektronik trifft auf Folklore – das Frankfurter Contrast Trio hat ein intensives, tanzbares, und melancholisches Werk geschaffen. Auf „Letila Zozulya" (ausgesprochen „Sosulja") findet sich zum ersten Mal auch Gesang. Für sein drittes Album reiste das Piano-Trio nach Kiew, um dort mit einem ukrainischem Chor aufzunehmen. Die Band, die als jüngster Preisträger in der Geschichte 2016 den Hessischen Jazzpreis bekam, hat in zehn Tagen Eigenproduktion ein Album kreiert, das trotz unterschiedlichster Einflüsse ein homogenes, perfekt durchhörbares Werk geworden ist.
Die Geschichte dieses Albums ist auch die Geschichte eines Road Trips. Im Juni 2017 fuhren Yuriy Sych, Tim Roth und Martin Standke nach Kiew. Der Keyboarder, der Bassist und der Drummer, unterwegs in die Heimat von Yuriy. 2003 war der Pianist aus der Ukraine zum klassischen Klavierstudium nach Frankfurt gezogen. Nun also zurück nach Osten, drei Tage unterwegs Richtung EU-Außengrenze, den Van bis unters Dach vollgepackt mit Synthesizern. Nach Konzerten in Krakau und Lemberg, und stundenlanger Wartezeit an der Grenze, kam das Contrast Trio schließlich in den Kiewer Dowschenko Studios an – einer riesigen Filmfabrik, die 1927 in der damaligen Sowjetunion entstand. Wo früher das Orchester untergebracht war und die Musik zu Stummfilmen einspielte, (u.a. den Soundtrack zu „Man with a Movie Camera") positionierten die drei ihre Mikrofone, ihre Instrumente und sehr viel Elektronik. Fast zwei Wochen lang schloss man sich (mit Gast-Perkussionist Florian Dreßler) in den Studios ein, nahm mit lokalen Musikern auf und spielte zwischendurch Konzerte. „Eine solche Aufgeschlossenheit gegenüber unserer Musik haben wir sonst nirgendwo erlebt", sagt Bassist Tim Roth. „Es ist eher ungewöhnlich, dass westliche Bands in die Ukraine kommen. Standing Ovations nach jedem Stück sind dort ganz normal."
Schon auf dem Vorgänger, schlicht „2" betitelt, hatte das 2006 gegründete Contrast Trio Elektronik mit Jazz vermischt, doch nun gehen sie gleich zwei Schritte weiter: auf „Letila Zozulya" arbeiten die drei Mittdreißiger nicht nur mit Beats und Synthesizern, sondern auch erstmals mit Chören und Gesang. „Wir singen selbst wahnsinnig gerne, aber wir wollten auch traditionelle Einflüsse mit einbinden." Auf drei Songs finden sich nun zwei ukrainische Chöre, die dem Album mit ihrer gutturalen Art der Stimmbildung einen betörenden, wundersam fremdartigen Klang verleihen. Ein vierköpfiger Chor, Yuriys Keyboards in Verbindung mit sachtem Piano, dazu Perkussion und eine wehmütige Violine: „Cuckoo Flying" spiegelt die melancholische Grundstimmung osteuropäischer Musiktradition wieder. Es ist der Titelsong, in englischer Übersetzung: „Letila Zozulya" ist Ukrainisch für „fliegender Kuckuck". Das elektronisch-akustische Arrangement eines Volksliedes, das in der Ukraine jedes Kind kennt.
Das Klavier ist für die Frankfurter eher Percussions- als Melodie-Instrument. Kaum einmal ist auf „Letila Zozulya" ein klassisches Jazz-Piano zu hören. Stattdessen: gezupfte Klaviersaiten, sphärische Vocals, trockene Drumbeats und sogar Disco-Handclaps („Rule"). Das klingt nach Dancefloor, und im besten Sinne nach dem in den Neunzigern aufkommenden NuJazz skandinavischer Prägung a la Bugge Wesseltoft.
Die Klang-Verschiebung hin zur Elektronik war für das Contrast Trio fast zwangsläufig. „Wir haben schon immer Techno und Minimal Music gehört, es hat bloß etwas gedauert, bis sich das auch in unserer Musik wiedergefunden hat", sagt Tim Roth, der zusammen mit Yuriy Sych Haupt-Songwriter ist. Bleibt die leidige Genre-Frage: ist das nun Jazz oder Electro? Für den Bassisten ist es eine Gratwanderung: „Wir spielen Musik, die zugänglich ist, aber komplex, und bei jedem Hören neue Details preis gibt. Auch Leute, die nie zuvor Jazz gehört haben, haben ihren Spaß bei uns."
Das Contrast Trio verbindet Jazz, ukrainische Folklore, House und sogar Pop („In The Bottle" mit Sängerin Insa Rudolph). Eine zwingende Mischung, die es bei aller Eingängigkeit niemandem allzu leicht macht. Darauf deutet schon der ukrainische Titel „Letila Zozulya" hin. Wer sich die Zeit nimmt, diesem bunten Kuckuck beim Fliegen zu lauschen, wird schon jetzt feststellen: das aufregendste genresprengende Album des Jahres 2018 stammt vom Contrast Trio.
Contrast Trio
Den Geist des Contrast Trios umreißt Tim Roth mit einem Blick auf die Jazz-Geschichte. „In den ersten Dekaden haben Musiker oft populäre Stile abstrakt verarbeitet. In der Ära des Free- und Fusion-Jazz passierte das kaum mehr, aktuell kommt es wieder ziemlich häufig vor. Während sich amerikanische Musiker heute oft auf zeitgemäßen Soul oder R&B beziehen, sind wir eben eher von europäischem Pop, Electro und Folk beeinflusst.“ Direkte Zitate finden sich dabei höchst selten. Die drei Musiker haben mehr als genug Ideen, nutzen Inspirationsquellen lediglich als Sprungbretter in eigene musikalische Welten. So entwickelt das Contrast Trio eine originelle eigene Stimme im zeitgenössischen Jazz.