Release
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Eva Thiessen
Lebenskurven verlaufen unterschiedlich. Auf einer Insel wie Island, auf der nicht nur jeder Einwohner fast jeden anderen Einwohner kennt, sondern jeder Musiker, egal welchen Genres, schon mal mit jedem anderen Musiker, egal welchen anderen Genres, gespielt hat, entfalten sich Lebenskurven ganz anders als in einem multiplen Wimmelgebilde wie Deutschland. Die vierköpfige Band ADHD kommt aus Island. Ihre bisherigen fünf CDs waren Sinnbilder für die unendlichen Weiten des hohen Nordens, dessen freie Sichtachsen höchstens von Vulkanen unterbrochen werden, deren Namen nicht einmal geübte Nachrichtensprecher problemfrei über die Lippen bekommen. Island – ein Land der Extreme. Zu diesen Extremen gehört eben auch eine extrem hohe Musikerdichte, gemessen an der Gesamtbevölkerung. Eine Dichte, die auf kurz oder lang Reibung verursacht. Und die ist nun auf „6“ zu hören.
ADHD
„ADHD macht entweder gar nichts oder zu viel" so Oskar Gudjonsson zur Frage warum jetzt gleich zwei Alben veröffentlich werden.
ADHD steht in der Medizin für Hyperaktivitätsstörung. Der Bandname ist Programm. Vier je nach Laune völlig durchgeknallte oder abgrundtief depressive Isländer haben sich gefunden, weil sie sich finden mussten. Seit einigen Jahren bauen sie gemeinsam an ihrem Klanguniversum. In der legendär kreativen Musikszene Reykjaviks gelten die Brüder Óskar und Ómar Gudjonsson (Saxofon bzw. Gitarre), Davíð Þór Jónsson (Hammondorgel) und Magnús Trygvason Eliassen (Schlagzeug) schon lange als Helden zwischen Jazz und Indierock. Ihr Debutalbum "ADHD" wurde bei den Icelandic Music Awards in mehreren Kategorien ausgezeichnet und ihr 2012 erschienenes Album #2 wurde für den Nordic Music Prize nominiert.
Wie viele Bands aus Island ist auch ADHD stilistisch mit dem herkömmlichen mitteleuropäischen Schubladensystem nicht zu beschreiben. Ihre melodische Musik vereint die dunkle Melancholie nordischer Winter mit der unerwarteten Expressivität der Reykjaviker Avantgarde-Szene. Es ist so etwas wie Jazz, weil instrumental improvisiert wird. Aber mit swingendem Mainstream hat ADHD bestimmt nichts am Bart. Der typisch isländische Weird-Folk-Einfluss ist schon optisch nicht zu leugnen.
Auf ihrem Album „6“ lassen ADHD vollends alle Regeln und Rücksichten hinter sich und gelangen an einen Punkt, an dem es nur noch um ein unmittelbares Ausleben ihrer selbst im Klang geht. Jeder für sich und alle gemeinsam. Das Drehbuch für „6“ ist ihnen direkt vom Leben in die Instrumente geschrieben worden. Und das ist gut so, denn auf diesem Weg wird die Familie immer größer.